Nun habe ich auch Bekanntschaft gemacht mit den kleinen Wesen, die uns seit einem Jahr aus der gewohnten Spur bringen und wachrütteln.
Um eine lebenswerte Balance mit den Corona-Viren zu verhandeln, musste sich mein Immunsystem ganzheitlich in gesunden Widerstand begeben. Es mobilisierte mir namentlich unbekannte Kräfte, die ich gut als innere Bewegungen spüren konnte. Ein Drücken hier, ein Pochen da, ein Ziehen dort, großes Ruhebedürfnis. Das Bemühen des Körpers löste Respekt und Dankbarkeit in mir aus. Mein Beitrag bestand am ehesten darin, dem Körper genug Raum und Zeit zu geben, damit er sein Werk vollenden kann.
Auf psychischer Ebene war die Herausforderung wohl, trotz der „Absonderung“, die man für 14 Tage erfährt, den Mut nicht zu verlieren, um Hilfe zu bitten und ausreichend Geduld und Selbstliebe zu generieren. Ich empfand es auch als heilsam, geschichtliches Wissen über vergangene Pandemien zu lesen, um zu verstehen, wie glücklich ich mich schätzen kann, diese Erfahrung hier und jetzt, gut versorgt, umgeben von Wohlstand und Frieden machen zu dürfen. (Online gibt es dazu einem Artikel im Spektrum der Wissenschaft, Wie Seuchen die Welt formten.)
Auch Peter Levine, Gründer von Somatic Experiencing, spricht von gesundem Widerstand, den wir nun als Kollektiv gut gebrauchen können. Ein gesunder Baum knickt nicht ein, wenn der Wind stärker weht, sondern biegt sich ein Stück und ist elastisch genug, um ihn seinen Ursprungszustand zurückzukehren. Diese Elastizität ist gesunder Widerstand, unsere Resilienzfähigkeit. Sie ermöglicht uns, Grenzen der Belastbarkeit zu spüren und handlungsfähig zu bleiben, auch in Zeiten des Lockdowns. Sie ermöglicht uns, in Momenten, die unsere Grenzen verletzen, uns selbst zu verteidigen und einen sicheren Ort zu schaffen. Sie ermöglicht uns, für uns zu sprechen, die Stimme zu erheben und uns selbst loyal gegenüber zu bleiben. Um diese innere Haltung zu nähren, möchte ich euch einige Selbststärkungs-Übungen, die Peter Levine auf seiner Webseite als kleine Videos veröffentlicht hat, ans Herz legen. Ihr findet sie hier:
https://www.somaticexperiencing.com/experiential
Unterstützend zu diesen psychosomatischen Ressourcen hat mir mein Mann dieser Tage ein wunderschönes Buch in die Hand gedrückt. Es heißt „Die 5 Einladungen“ und wurde von Frank Ostasesky in San Francisco – gespeist aus dessen lebenslanger Erfahrung als Hospizbegleiter – verfasst. Kaum ein Buch hat mich in den letzten Monaten so grundlegend an die buddhistischen Grundhaltungen des Lebens und des Sterbens in derart einfacher und direkter Sprache erinnert. Ostasesky vermag mit großer Klarheit den „rosa Elefanten im Raum, das Sterben,“ zu benennen. Mit Beispielen aus seinem Arbeitsalltag, der ihm zugleich buddhistische Praxis ist, zeigt er auf, wie das Leben an Tiefe gewinnt, wenn wir den Mut haben, den Tod als Teil davon und nicht als Bedrohung zu betrachten. Wie das gelingen kann, möchte ich nicht vorwegnehmen, sondern euch vielmehr die Lektüre dieses Buches ans Herz legen. Denn letztendlich ging es ja im letzten Jahr um unsere persönliche und auch gemeinschaftliche Haltung zu Krankheit und Tod. Wenn ihr selbst betroffen seid von Abschied, Sterben und Trauern, könnt ihr euch unentgeltlich an die Trauerstelle der Caritas Wien wenden,
kontaktstelletrauer@caritas-wien.at
Auch das ist gesunder Widerstand: im Hier und Jetzt präsent sein zu können im Einklang mit den Höhen und Tiefen des Lebens und des Sterbens. Zunehmend weniger zu glauben, dass es irgendwo anders besser oder man selbst Opfer kollektiver Umstände sei. Resilienz bedeutet für mich, Veränderungen wie Abschied oder Verzicht wach und bewusst zu begegnen, zu fühlen und mit beiden Beinen fest verwurzelt zu bleiben im Hier und Jetzt. Meine Stimme auch denen zu leihen, die gerade nicht gehört werden, beispielsweise Kinder.
In diesem Sinne durfte ich, „abgesondert“, überprüfen, was wirklich wirkt. Eine offene innere Haltung. Heilsame ermutigende Gedanken. Freundliche zugewandte Menschen. Vertrauen in das, was ist.
Der Mut, Dinge zu verändern, die ich ändern kann. Die Gelassenheit Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann. Und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.
Ja, ich kann auch Bibel 😉